Eingeschwungener Zustand am Senderausgang

Material für die aktuell noch laufende Diskussion bei db3om zum Thema.

Transformation des Reflexionsfaktors an den Leitungseingang

(Wie in jedem Lehrbuch beschrieben)

Der Reflexionsfaktor ist definiert als das Verhältnis der rücklaufenden zur hinlaufenden Welle. Mit den Leitungswellenbeziehungen läßt sich der Reflexionsfaktor auf der Leitung wie folgt aus dem Reflexionsfaktor am Leitungsende ableiten.

$$r(z) = { U_r(z) \over u_h(z) } = {{ U_r e^{- \gamma z} } \over { U_r e^{\gamma z} }} = {U_r \over U_r } e^{- 2 \gamma z} = r_2 e^{-2 \alpha z} e^{-j2 \beta z} (1)$$

Der Reflexionsfaktor am Leitungseingang wird durch die Leitung im allgemeinen also mit dem doppelten der Dämpfungskonstante bedämpft und mit dem Doppelten der Phasenkonstante in der Phase gedreht

Aus dieser Formel läßt sich Folgendes herauslesen: Wegen $\alpha > 0$ ist $|U_r|$ ist immer kleiner oder gleich $|U_h|$ und die Phasendifferenz zwischen $U_h$ und $U_r$ nimmt über die Leitung jeden beliebigen Wert an. (Genügende Länge der Leitung vorausgesetzt.)

Die Situation am Leitungsanfang

(Dieser Abschnitt ist eine Wiederholung ensprechenden Abschnitts des Artikels Das Missverständnis der reflektierten Energie auf Übertragungsleitungen)

Die Situation am Leitungsende ist in häufig beschrieben, aber die Situation am Leitungseingang dagegen eher selten.

Wie oben beim Übergang von der Leitung zur Last schon ausgeführt müssen beim Übergang von einem Modell zum anderen Strom und Spannung stetig sein, mit anderen Worten muß am Leitungseingang gelten:

$$U_1 = U_h(-l) + U_r(-l)$$

und

$$I_1 = I_h(-l) - I_r(-l)$$

Der Strom durch den Innenwiderstand des Senders ist gegeben durch

$$I_1 = {{ U_g - U_1} \over Z_i } (2)$$

Auf der Leitung sind Strom und Spannung der hin- und rücklaufenden Wellen jeweils über den Wellenwiderstand miteinander verknüpft:

$$I_h(z) = { U_h(z) \over Z_L }$$

und

$$I_r(z) = {U_r(z) \over Z_L }$$

Da der Strom durch den Innenwiderstand gleich dem Gesamtstrom am Leitungseingang sein muß, gilt mit (2) dann

$${{ U_g - U_1 } \over Z_i } = {{ U_g - (U_h(-l) + U_r(-l)) } \over Z_i } = I_1 = I_h(-l) - I_r(-l) = {U_h(-l) \over Z_L } - {U_r(-l) \over Z_L }$$

Formen wir dies um und lösen nach Uh auf, dann erhalten wir

$$U_h(-l) = { Z_L \over { Z_i + Z_L }} U_g + {{ Z_i - Z_L } \over { Z_i + Z_L }} U_r(-l)$$

Der Faktor vor dem $U_r$hat genau dieselbe Form wie am Leitungsende und beschreibt offenbar denjenigen Anteil der rücklaufenden Welle, der am Leitungsanfang wieder in Richtung Leitungsende reflektiert wird.

Führen wir nun r_e, den Reflexionskoeffizienten am Leitungseingang ein $r_e := {{ Z_i - Z_L } \over { Z_i + Z_L }}$, so erhalten wir

$$U_h(-l) = { Z_L \over { Z_i + Z_L }} U_g + r_e U_r(-l) (3)$$

Die hinlaufende Welle setzt sich demnach aus zwei Bestandteilen zusammen:

Zum einen einen Teil, der durch den komplexen Spannungsteiler zwischen Innenimpedanz des Generators und Wellenwiderstand der Leitung gebildet wird und zum anderen durch einen reflektierten Anteil der rücklaufenden Welle. Der Faktor dieses Anteils hat dabei dieselbe Form wie der des reflektierten Anteils am Leitungsende.

Aus der Gleichung (3) kann man für den Fall $Z_i = Z_L$ ein interessantes Ergebnis ablesen: Dann nämlich ist $r_e = 0$, $U_h$ konstant $U_g/2$ und nicht abhängig von $U_r$. Mit anderen Worten: Wenn der Innenwiderstand des Senders an den Wellenwiderstand der Leitung angepaßt ist, bleibt die hinlaufende Welle über die Zeit konstant. Damit ändern sich dann auch die Verhältnisse am Leitungsende nicht mehr, nachdem die hinlaufende Welle einmal das Leitungsende erreicht hat. Die rücklaufende Welle, sofern es wegen einer Fehlanpassung am Leitungsende eine gibt, läuft jetzt in Richtung Leitungsanfang. Wenn sie den Leitungsanfang erreicht hat, ändert sich zwar noch einmalig $U_1$ (nicht aber $U_h$!), aber dann ist das System spätestens nach $2 T_L$ eingeschwungen.

Der Einschwingvorgang

Betrachten wir nun eine beidseitig fehlangepaßte Leitung, also $Z_i \ne Z_L$und $Z_2 \ne Z_L$an deren Leitungsanfang zum Zeitpunkt $t = 0$ eine Sinusschwingung konstanter Amplitude angelegt wird.

Um jetzt Aussagen über den Einschwingvorgang machen zu können ist die Tatsache wichtig, daß sich die rücklaufende Welle $U_r(-l,t)$zum Zeitpunkt $t$ja aus der hinlaufenden Welle $U_h(-l,t-2T_L)$vom Zeitpunkt $t-2 T_L$ergibt, die zum Leitungsende gelaufen war und von dort reflektiert wurde. Rechnet man also in Zeitintervallen von $2 T_L$, dann sieht man, daß sich die rücklaufende Spannung am Leitungseingang aus der hinlaufenden Spannung vom Leitungseingang aus dem jeweils vorigen Zeitintervall ergibt. Das macht die Behandlung des Einschwingvorganges einfacher, denn statt Differentialgleichungen lösen zu müssen muß man hier nur die Folge von jeweils für die Dauer von $2 T_L$stationäre Zustände berechnen. $U_{r,n}(-l) = f(U_{r,n-1}(-l))$

Hinlaufende Welle

Für die rücklaufende Welle für das Zeitintervall $n$ergibt sich aus der hinlaufenden Welle des vorhergegangenen Zeitintervalls und $r_1$, dem an den Leitungsanfang transformierten Reflexionskoeffizienten des Leitungsendes die folgende Beziehung

$$ U_{r,n}(-l) = r_1 U_{h,n-1}(-l) (4) $$

Für die hinlaufende Welle ergibt sich dann mit (3)

$$ U_{h,n}(-l) = { Z_L \over { Z_i + Z_L }} U_g + r_1 r_e U_{h,n-1}(-l) (5) $$

Schreibt man die ersten Spannungen mal explizit auf, erkennt man, daß die n-te Spannung aus folgender Reihe berechnet werden kann

$$ U_{h,n}(-l) = U_g { Z_L \over { Z_i + Z_L }} \sum \limits_{k=0}^n \left(r_1 r_e \right)^k (6) $$

Dies ist die geometrische Reihe im Komplexen und von den Mathematikern können wir übernehmen daß diese Reihe den Grenzwert $\sum \limits_{k=0}^\infty z^k = { 1 \over { 1 - z }}$ mit dem Konvergenzradius 1 hat. Mit anderen Worten: Für $| r_1 r_e | < 1$ konvergiert diese Reihe und hat dann den Grenzwert

$$ U_{h,\infty}(-l) = U_g { Z_L \over { Z_i + Z_L}} { 1 \over {1 - \left( r_1 r_e \right) }} = U_g { Z_L \over { (Z_i + Z_L) - r_1 (Z_i - Z_L) }} (7) $$

Für $| r_1 r_e | \ge 1$ divergiert die Reihe - mit anderen Worten es stellt sich kein stabiler Zustand ein.

ToDo

Ermitteln unter welchen Bedingungen kleiner als 1 bleibt.

Für reelle $Z_i$ und $Z_L$ ist der Ausdruck immer kleiner als 1 solange nicht $Z_i = 0$ oder $Z_L = 0$ und $|r_1| = 1$. Im praktischen Falle ist dies wegen der immer auftretenden Verluste gegeben.

Erster Ansatz mal in die Tüte geschrieben:

Für $r_2 = {{Z_2 - Z_L} \over { Z_2 + Z_L }} = |r_2| e^{j \varphi_2}$ wurde in der Literatur gezeigt, daß $|r_2| <= 1$ ist.

Nun $r_e$ genau dieselbe Form - dieselben Bedingungen gelten also auch hier.

Also schreibt sich $|r_e r_1| = |r_e| |e^{j \varphi_e}| |r_2| |e^{j \varphi_2}| |e^{-2 \alpha z} e^{-j2 \beta z}|$ Dieser Ausdruck kann maximal 1 werden, aber nur dann, wenn an beiden Enden jeweils 100% reflektiert wird und die Leitung keine Dämpfung hat. Ein Fall der also praktisch niemals erreicht werden kann.

Also ist die Randbedingung in der Praxis immer gegeben.

Senderausgangsspannung

Meßbar ist diese Spannung der hinlaufenden Welle aber nicht, sondern nur die Überlagerung mit der jeweiligen rücklaufenden Spannung. Im eingeschwungenen Fall ist also

$$U_1 = U_{h,\infty} + U_{r,\infty} = (1 + r_1) U_{h,\infty}$$

Mit (7) ergibt sich dann für die Spannung am Leitungseingang

$$U_1 = U_g (1 + r_1) { Z_L \over { (Z_i + Z_L) - r_1 (Z_i - Z_L) }}(8)$$

Diese Spannung hängt also vom an den Leitungseingang transformierten Reflexionskoeffizienten des Lastendes sowie dem Grad der Fehlanpassung des Senders an die Leitung ab.

Plausibilitätskontrollen:

Angepaßter Sender, $Z_i = Z_L$
$U_1 = U_g (1 + r_1) { 1 \over 2 }$ Ist nun auch noch die Last angepaßt, dann ist $r_1 = 0$ und am Senderausgang steht die halbe Generatorspannung – wie erwartet.

Virtueller Leerlauf, $r_1 = 1$
Die Sender-Ausgangspannung ist gleich der Generatorspannung – wie erwartet.

Virtueller Kurzschluß, $r_1 = -1$
Die Sender-Ausgangspannung ist Null – wie erwartet.

Die Ersatzimpedanz im eingeschwungenen Zustand

Schauen wir uns das Verhältnis von Strom und Spannung im eingeschwungenen Zustand an. Mit (2) und (8) ergibt sich

$$Z_1 := { U_1 \over I_1 } = Z_i { U_1 \over { U_g - U_1}} = Z_L {{ 1 + r_1} \over { 1 - r_1 }} (9)$$

Im eingeschwungenen Zustand kann man also die Übertragungsleitung und die Last durch die Ersatzimpedanz $Z_1$ersetzen, ohne daß der Sender einen Unterschied „merkt“.

Diese Formel findet sich auch in [Det06] und hat keine Abhängigkeiten ob der Sender an die Leitung angepaßt ist, oder nicht. Eigentlich auch kein weiter verwunderliches Ergebnis.

Im Folgeartikel “Der Einschwingvorgang einer Übertragungsleitung im Detail” beleuchte ich das Einschwingen bei einigen speziellen Fällen

© Matthias Leonhardt - DJ1ML, 2011

Links/Quellen:

Dethlefsen, Siart: Grundlagen der Hochfrequenztechnik, Oldenbourg Verlag, 2. Auflage 2006, ISBN 3-486-57866-9

Versionshistorie

1.0.2 01.08.2011 Kleine Schönheitskorrekturen, Skizze der Abschätzung von $|r_e r_1|$
1.0.1 27.07.2011 Korrektur eines Rechnenfehlers bei der Ersatzimpedanz
1.0.0 27.07.2011 Erste Fassung nach Diskussion im Internet